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Pressemitteilungen und News

Corona hat Folgen für den Fotojournalismus

„Für viele geht es um die Existenz“

20.10.2020

Christina Czybik @work Foto: Ibrahim Ot

Insbesondere Fotograf*innen sind durch die Corona-Pandemie empfindlich getroffen und verunsichert. Wenn Menschen seltener zusammenkommen, gibt es weniger Aufträge. Zudem erschweren die Hygienevorschriften die Ausübung des Berufs. Aus Corona ziehen Fotograf*innen vor allem eine bittere Lehre: Fotografie als alleiniges Standbein genügt nicht.

Wenn Andreas Gumz das Bremer Weser-Stadion betritt, um Sportfotografien von den Spielen des SV Werder Bremen zu schießen, muss er seit Beginn der Corona-Pandemie eine umfangreiche Prozedur zum Infektionsschutz über sich ergehen lassen. „Für uns hat sich seit einigen Monaten wirklich einiges geändert“, fasst der 38-Jährige zusammen. „Bei den Spielen gibt es strenge Auflagen. Vor jedem Betreten des Stadions müssen Fragebogen ausgefüllt werden, und während des gesamten Aufenthalts müssen Masken getragen werden. Außerdem messen sie unsere Körpertemperatur.“
Öffentliche Trainingseinheiten, so berichtet Andreas Gumz, gibt es für Sportfotograf*innen vorerst gar nicht mehr. „Im Bereich der Sportfotografie sieht es mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit für viele Kolleginnen und Kollegen ziemlich düster aus“, schätzt Gumz. „Weil ich täglich am Stadion und bei den Geisterspielen vor Ort war, musste ich keine signifikanten Einbußen hinnehmen. Ich befürchte aber, dass andere mehr mit der Corona-Situation zu kämpfen hatten und dies immer noch tun.“

Die Erfahrungen seines Bremer Kollegen bestätigt Lars Kaletta in Hannover, der seit vielen Jahren als Fotograf über Hannover 96 berichtet: „Corona hat unsere Arbeitsinhalte und Abläufe entscheidend beeinflusst“, sagt Kaletta. „Es finden keine Sportveranstaltungen mehr mit einer größeren Anzahl an Zuschauern in Stadien oder Hallen im ursprünglichen Sinne statt.“ Neben den Umsatzeinbußen und den Erschwernissen durch die Hygienevorschriften bemängelt Lars Kaletta besonders einen Qualitätsverfall: „Unter allem leidet die Stimmung, und für uns Fotografen bleibt das Einfangen von Emotionen zumeist aus!“

Weil der Hannoveraner neben der Sportfotografie auch im Auftrag von Firmen, Messen und Verbänden arbeitet, spürt er den Geschäftsrückgang empfindlich. „Viele Anfragen von Kunden waren an Veranstaltungen mit großem Menschenaufkommen gekoppelt. Alle für das Jahr 2020 bereits zugesagten Termine wurden bis auf weiteres gecancelt.“ Der Ausfall wiege schwer, gibt Kaletta zu. „Niemand kann genau abschätzen, wann im kommenden Jahr zum Beispiel der normale Messebetrieb wieder aufgenommen werden kann.“ Der Blick des Fotografen in die Zukunft fällt eher düster aus: „Falls es abermals zu einer Verschärfung der aktuellen Situation kommen sollte, würden zwangsläufig viele Kollegen ihren Job verlieren.“


Es klingt banal: So lange es herbstlich ist und das Wetter noch einigermaßen mitspielt, keimt die Hoffnung noch – aber viele Fotografinnen und Fotografen haben Angst vor dem Winter. „Das gute Wetter unterstützt momentan sehr dabei, Fotoaufträge – so denn vorhanden und möglich – draußen zu fotografieren“, antwortet die Kieler Fotografin Pat Scheidemann Anfang September auf die Anfrage der NORDSPITZE. „Nicht nur der Optik wegen, ist es an der frischen Luft besser. Hier kann auch meist auf ausreichend Abstand geachtet werden.“ In Gebäuden wird es schwieriger wegen der Pflicht zum Tragen einer Maske, die oft den Kamera-Sucher beschlagen lässt. „Aber wenn Ärztinnen und Pflegekräfte das in ihrem Job den ganzen Tag schaffen – warum dann auch nicht wir?“, sagt Pat Scheidemann, die „der Legende nach bereits mit Kamera um den Hals auf die Welt gekommen“ ist.

In Pat Scheidemanns Fototasche befindet sich „nicht erst seit Corona“ eine kleine Flasche Desinfektionsmittel. Und eine Maske ist dort jetzt „genauso selbstverständlich dabei wie Kamera, Smartphone und Portemonnaie.“ Auf den nötigen Abstand achte Scheidemann „nicht erst, seit es angeordnet wurde“. Ihre Hamburger Kollegin Christina Czybik bestätigt das: „Zur Zeit arbeite ich nur an eigenen Projekten, die sich draußen verwirklichen lassen. In der Regel nehme ich eigene Getränke mit, habe immer Desinfektionsmittel dabei und halte Abstand, trage Maske, gehe nicht in die Privathäuser. Gerade bei meinen Porträt-Geschichten ist die beidseitige Vertrauensbasis noch wichtiger geworden.“

Vieles im Arbeitsalltag verlangt von Christina Czybik Fingerspitzengefühl: Ende August hat sie ihren ersten Event-Auftrag fotografiert, ein kleines Open Air Konzert mit 40 Gästen, die mit reichlich Abstand und ohne Maske an Stehtischen standen. „Die große Herausforderung war das Kommunizieren mit den Gästen, das mit dem Tragen der Maske meinerseits extrem eingeschränkt ist“, erinnert sich Czybik. „Die Menschen kennen mich nicht und sind mir sozusagen ausgeliefert.“ Wo sonst mit Abstand ein Lächeln oder ein kurzer Blick genügten, um wortlos während der Veranstaltung ein Bild zu gestalten, müsse man sich nun stark in seiner Arbeits- und Verhaltensweise umstellen, ohne Abläufe zu stören oder eine mögliche Unsicherheit der Gäste zu unterstreichen.

„Die Rahmenbedingungen sind teilweise gut oder teilweise katastrophal“, bilanziert der Hamburger Fotograf Ibrahim Ot. „Zum Beispiel beim Fußball. Da waren ab einem bestimmten Zeitpunkt acht Pressefotografen zur Berichterstattung zugelassen. Genügend Platz zwischen den Kollegen bzw. genügend Abstand zu den Spielern.“ Dann wiederum bei einer Vernissage, auf der neun Pressefotografen zugelassen waren, viel zu wenig Platz. „Das übliche Bemerkbarmachen durch Zuruf funktionierte bei einigen Kollegen nicht hinter der Maske, also hing diese nach kurzer Zeit auf halb acht.“ Der Veranstalter sei mit der Situation überfordert gewesen, denn auch einige Gäste hatten in den Räumlichkeiten gar keine Maske auf. „Man sollte nicht auf solche Kleinveranstaltungen gehen, bei denen zu viele Pressevertreter auf engstem Raum eingeladen werden“, sagt Ot.

Das Online-Verzeichnis Berufsfotografen.com hat Profis in ganz Deutschland zu den Auswirkungen von Corona auf ihre Arbeit befragt. Das bereits Ende Mai veröffentlichte Ergebnis bestätigt, dass es bei fast allen Fotograf*innen massive Einschnitte gab und fast die Hälfte speziell im April sogar überhaupt keinen Umsatz hatte. Laut Umfrage haben mehr als 40 Prozent der befragten Fotograf*innen staatliche Zuschüsse beantragt und zu 99 Prozent auch erhalten. Somit hat die schnelle Auszahlung der staatlichen Soforthilfen etwas Unterstützung gebracht.

Auch wenn die Fotograf*innen in ganz unterschiedlichen Bereichen tätig sind, sind doch fast alle von den Corona-Auswirkungen betroffen. Zwar gebe es laut Berufsfotografen.com  Bereiche wie die Produkt- und Architekturfotografie, in denen es einfacher ist, die Abstandsregeln einzuhalten, doch machen diese nur einen kleinen Teil im Spektrum der Fotografie aus. Bei den überwiegenden „People“ – und Modeaufnahmen, bei Hochzeitsfotografie, Schulfotografie, Messe- oder Eventfotografie ist Arbeiten stark eingeschränkt.

Bei Henrik Matzen und seiner Photowerkstatt im niedersächsischen Stafstedt geht es mittlerweile schon etwas bergauf: „Absagen, Verschiebungen, Kurzarbeit für meinen Mitarbeiter – aber seit kurzem zeichnet sich wieder eine Auftragszunahme ab“, berichtet Matzen Anfang September der NORDSPITZE. Als „Auftragsfotograf im Bereich Werbung, Kultur und Journalismus“ habe er durch einen großen Kunden und die Unterstützung von Land sowie Bund die Corona-Zeit gut überbrücken können. Kunden hätten sich sogar eigeninitiativ gemeldet und Aufträge für die Zukunft in Aussicht gestellt. „Seit 1997 besteht mein Studio, und ich bin sehr dankbar, dass ich in Schleswig-Holstein mit Fotografie mein Unternehmen betreiben und einen Angestellten bezahlen kann““, sagt Henrik Matzen. „Ich weiß aber von Kollegen, die kämpfen müssen.“ Falls er oder sein Mitarbeit*innen krank werde, müsste man zwei Wochen in Quarantäne gehen – eine bedrohliche Vorstellung. „Das ist dann so. Wir müssten dann versuchen, die Aufträge auf ein bestehendes Netzwerk an Kollegen zu verteilen.“

Die Hamburger Fotografin Christina Czybik konnte sich mit Arbeiten in der Pipeline über die Durststrecke retten: „Meine geplanten Event-Aufträge sind für 2020 wie bei allen direkt gestrichen worden“, sagt sie. „Aber ich konnte glücklicherweise recht gut meine Reportagen und Stories im Laufe der letzten Monate in Magazinen platzieren.“ Da über längere Zeit keine neuen Geschichten produziert worden seien, gebe es einen größeren Bedarf an ihren bereits fertigen Stories, berichtet Christina Czybik.

Auf der Kostenseite sind die größten Posten für Fotograf*innen meist die Miete des Studios, des Ladenlokals oder des Büros. Glücklich kann sich somit derzeit schätzen, wer bereits sowieso schwerpunktmäßig im Home-Office arbeitet. Dies ist laut Umfrage bei über 40 Prozent der Berufsfotografen der Fall. Für Pat Scheidemann in Kiel bietet das Home Office viele Möglichkeiten: „Archiv und Backups auffrischen, Steuererklärung früher als sonst fertig machen, Check der Ausrüstung, am eigenen Marketing arbeiten, Weiterbildung durch Webinare, Online-Meetings, Tutorials.“ Nach mehr als vier Monaten im „unbezahlten Zwangsurlaub“ kämen jetzt wieder zaghaft Aufträge rein. „Doch stets mit dem Hinweis, dass kurzfristig gecancelt wird, wenn die Umstände das Fotografieren nicht zulassen“, berichtet Scheidemann. „Auch wenn wir dank einiger Unverbesserlichen einen zweiten Lockdown provozieren, bin ich dennoch zuversichtlich, dass wir es irgendwie aus dieser Situation herausschaffen.“ Die Kielerin glaubt, dass in Zukunft wieder vermehrt auf professionell Fotografierende und Schreibende gesetzt wird, „die ihr Handwerk wirklich verstehen und Vorgaben und Situationen schnell erfassen und sauber umsetzen können. Corona ist nur eine von vielen Neuerungen, mit der wir uns irgendwie arrangieren müssen“, sagt Scheidemann. „Wir sind jetzt mehr denn je offener für Veränderungen. Sehen wir es als Chance.“

Für Ulf-Kersten Neelsen (56), seit beinahe 20 Jahren Pauschalist bei den Lübecker Nachrichten (LN), stellt Corona wegen der Infektionsgefahr den gesamten Berufsstand in Frage: „In unserem Job hat man eine Lizenz zum Rausgehen – und geht dann aber nicht raus?“ Als Fotograf müsse man eben raus, das liege in der Natur der Sache – und man müsse auch nah ran: „Eine Redakteurin sagte mir, ihr habt ja diese langen Tele-Objektive, damit geht es doch. Klingt gut. In der Praxis wäre man dann aber meistens ohne Bilder zurückgekommen.“ Er habe sich viele Gedanken gemacht, wie man auf Terminen zumindest Abstand halten kann, erzählt Neelsen. „Klappte aber nicht immer.“ Die Menschen kämen ungefragt näher, wollten auf dem Display der Kamera das Bild sehen. „Das war nicht immer angenehm.“ Von einer Kollegin hörte der LN-Fotograf einmal: „Komm‘ mir nicht zu nahe, du hast ja so viele Kontakte!“ Die augenzwinkernde Bilanz von Ulf-Kersten Neelsen: „Unsere Arbeit ist, war und bleibt wohl nicht ungefährlich.“
Trotzdem sieht der Fotograf Ulf-Kersten Neelsen die größte Gefahr für seinen Beruf ganz woanders: „Corona macht es uns sicher nicht leichter, aber wirklich verändern wird das Virus unseren Beruf nicht“, schätzt Neelsen. „Schwerwiegender ist die inflationäre Nutzung der Handyfotografie und das damit verbundene Missverständnis, ein Handy könne professionelle Fotografie ersetzen.“ Das eine habe mit dem anderen nichts zu tun. „Ein Foto ist ein Foto ist ein Foto. Punkt.“

29 Prozent der Fotograf*innen können sich vorstellen, den Beruf zu wechseln. Zuerst allerdings will die Mehrzahl versuchen, innerhalb der Fotografie nach Verdienstmöglichkeiten zu suchen. Auch Kollege Lars Kaletta in Hannover ist alarmiert: „Ich sehe die Zukunft der Fotografen unter dem dauerhaften Einfluss von Corona-Sonderregeln  als extrem gefährdet. Für viele, die mittlerweile auch ihre Rücklagen aufgebraucht haben, geht es um Existenzsorgen und um mögliche bevorstehende Insolvenzen.“ Andererseits biete die Ausnahmesituation auch die Möglichkeit, sich und die Inhalte der bisherigen Auftragsinhalte zu hinterfragen: „Wo liegen meine Stärken? Kann und will ich mich anpassen?“, fragt sich Kaletta. „Vielleicht ist es an der Zeit, umzudenken und seinen Schwerpunkt zu verlagern. Bilder werden weiterhin benötigt.“

Es hat sich auch in Norddeutschland herumgesprochen, dass seit Corona viele Fotograf*innen überlegen, den Beruf aufzugeben und sich in einer anderen Branche zu versuchen. Auch Henrik Matzen in Stafstedt lässt die Gedanken schweifen: „Ich hoffe, es gelingt mir, in Zukunft Freiräume für eigene Projekte zu schaffen“, sagt der 48-jährige. „Wichtig ist es auch, breit aufgestellt zu sein. Vielleicht nicht nur in der Fotografie?!“ Matzens Hamburger Kollege Ibrahim Ot, der aufgrund der Zugangsbeschränkungen seltener in Fußballstadion zur Sportberichterstattung kommt, nutzt die gewonnene Zeit noch ganz anders: „Um mich fit zu halten, probiere ich mich am Fußball in meinem Garten.“

Florian Vollmers Mitarbeit: Christiane Eickmann, Claudia
Piuntek, Sabine Spatzek

„Weil ich täglich am Weser-Stadion vor Ort war, musste ich keine signifikanten Einbußen hinnehmen.“
Andreas Gumz, Bremen

„Falls es abermals zu einer Verschärfung kommt, würde dies den Jobverlust vieler Kollegen bedeuten.“
Lars Kaletta, Hannover

„Ich bin zuversichtlich, dass wir es irgendwie aus dieser Situation herausschaffen.“
Pat Scheidemann, Kiel

„Unsere Arbeit ist, war und bleibt wohl nicht ungefährlich.“
Ulf-Kersten Neelsen, Lübeck

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