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Pressemitteilungen

Wie Freie im Norden erfolgreich sind – und warum ihre Arbeit mehr gewürdigt werden muss

Die Nase im Wind

01.04.2020

Unter dem Motto „Freier Journalismus – Läuft!“ stellt der DJV im Laufe des Jahres mit einer Reihe von Kampagnen und Veranstaltungen die Anliegen der freien Journalistinnen und Journalisten in Deutschland in den Mittelpunkt – auch in den norddeutschen Bundesländern. Die NORDSPITZE stellt vier Freien-Existenzen vor.

Tanja Krämer (Foto: Benjamin Eichel)

Gerd Schild (Foto: privat)

Lucja Romanowska (Foto: Christina Czybik)

Jens Meßmann (Foto: privat)

Freier Journalismus – Läuft? Die Bremer Wissenschaftsjournalistin Tanja Krämer (41) sieht das etwas anders und zieht im Jahr 2020 eine eher düstere Bilanz: „Die Lage vieler freier Journalistinnen und Journalisten ist schwierig. Althergebrachte Finanzierungswege funktionieren immer schlechter“, lautet ihr Urteil. „Es ist kein Wunder, dass viele gut ausgebildete Kolleginnen und Kollegen zwischen 30 und 40 das Handtuch werfen – in der Phase, in der sie Familien gründen und eine Sicherheit suchen, die sie im Journalismus nicht mehr finden.“ Hinzu komme ein Misstrauen der Bevölkerung gegenüber Journalismus und Medienbetrieben: „Wir blicken in disruptive Zeiten.“

Ihr eigenes Erfolgsmodell? „Sei selbst das Licht, das du sehen willst in der Welt“, sagt Tanja Krämer. Deshalb hat sie 2015 die Idee zu „Riffreporter – die Genossenschaft für freien Journalismus“ entwickelt, die sie heute zusammen mit Christian Schwägerl als Vorstand leitet. Nebenbei ist sie Co-Chefredakteurin des Bremer Wohnungslosenmagazins Zeitschrift der Straße. Riffreporter wurde unter anderem mit dem Grimme Online Award und dem Netzwende Award ausgezeichnet. Das Projekt funktioniert als Online-Magazin, auf dem journalistische Mitglieder Projekte und Beiträge veröffentlichen und direkt an Leser verkaufen können. „Trotz schwieriger Bedingungen für journalistische Gründungen in Deutschland sind wir auf einem guten Weg, das macht mich froh“, sagt Krämer. „Der freie Journalismus muss sich neu strukturieren. Das versuchen wir ja auch mit Riffreporter. Ein Weiter-So hat bei den Verlagen nicht funktioniert und wird auch bei den Freien nicht funktionieren.“ Tanja Krämers Anspruch an sich selbst ist dabei hoch: „Es geht nicht immer nur darum, eine tolle Geschichte zu erzählen, sondern auch darum, Menschen mittels gut recherchierter Informationen zu sinnvollem Handeln anzuregen.“ Pragmatischer durch das Freien-Dasein surft der Kieler Radio-Journalist Jens Meßmann (38): „Meine Stimme ist mein Kapital. Selbst sehe ich mich im Entertainment-Journalismus“, sagt der ausgebildete Kaufmann für Bürokommunikation. Er war Animateur auf Mallorca, hat als Redakteur und Moderator bei Radio Energy, bigFM, delta radio und Antenne 1 gearbeitet. „Ich wollte mich nicht nur auf ein Medium beschränken, daher der Schritt in die Selbstständigkeit“, erzählt Meßmann, der zufrieden mit seiner Freien-Situation ist und in seinem Berufsprofil „Moderator, Redakteur, Reporter, Videoproduktion“ aufführt. „Ich kann meine Rechnungen bezahlen und habe Spaß bei dem, was ich mache. Das finde ich wichtig.“ Gleichwohl wünscht auch er sich höhere Honorare: „Qualität muss wieder gut bezahlt werden, das ist schon die größte Herausforderung.“ Die Auftraggeber würden häufig die besonderen Fähigkeiten von Freien übersehen: Sie suchten sich die Themen und die Arbeit, bei der das eigene Engagement besonders hoch sei. „Diese Leidenschaft gibt es nur da, wo man mit Herzblut bei der Sache ist. Das können nur Freie leisten.“ Viele Freie nehmen niedrige Honorare in Kauf, weil sie im Gegenzug Vorteile erkennen. „Freiberuflichkeit kann ein ideales Arbeitsmodell sein“, sagt Tanja Krämer in Bremen: „Frau ist ihre eigene Chefin, ich kann selbst entscheiden, welche Themen ich bearbeite und für welche Verlage ich recherchiere. Ich kann meine Zeit freier einteilen und muss nicht auf gewachsene Gepflogenheiten eines Verlages Rücksicht nehmen, hinter denen ich nicht stehe.“  Auch Gerd Schild (39) arbeitet seit 2014 freiberuflich in Hannover, weil er sich bewusst nach Abschluss des Volontariats bei der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung dafür entschieden hat. Schild hatte damals eine feste Stelle in Aussicht, allerdings wäre diese befristet gewesen. Zudem empfand er den eng getakteten Tageszeitungsrhythmus als einengend. „Ich dachte schon damals: Ich hätte gern ein bis zwei Tage mehr Zeit, um ein Thema gründlich zu recherchieren“, sagt Schild. Seine erste Auslandsreise als Freelancer startete er ganz ohne Auftrag: Er reiste nach England, um Themen aus der Fußballkultur zu recherchieren und anzubieten. Rückblickend erinnert er sich, wie er typische Anfängerfehler machte. Ein Magazin nahm ein Interview ab und er sagte viel zu schnell zu, für viel zu wenig Geld zu liefern. „Ich war damals noch nicht gut vernetzt – ich wusste gar nicht, was man als Honorar veranschlagt, wie Akquise funktioniert“, erinnert sich Schild. Das ist heute anders. Kontaktpflege hält er für eins der wichtigsten Erfolgsrezepte für freie Journalistinnen und Journalisten. Jungen Medienschaffenden rät er daher: „Ruft freie Journalisten an, die schon länger im Geschäft sind, fragt sie um Rat. Besprecht eure Exposés mit Kollegen.“  Heute weiß Schild besser, wie er eigene Herzensprojekte vermarkten kann. Nach Seattle ist er mehrmals gereist – sehr ergiebig war dort eine Recherche zum Thema Obdachlosigkeit im vergangenen Jahr. Er veröffentlichte unter der Rubrik „Was Menschen bewegt“ im Magazin Brand Eins einen 25.000-Zeichen-Text. Und weil sich mehrere Themen während der Reise ergeben hatten, erschienen in der Folge weitere Texte, unter anderem in Business Punk, dem Greenpeace-Magazin und als Zweit- oder Drittverwertung auch in Tageszeitungen. Gerd Schild ist mit seiner beruflichen Situation zufrieden. „Es ist immer noch ein toller Job – auch wenn niemand reich damit wird.“ Freie Journalisten hätten den großen Vorteil, sich auf bestimmte Themen gründlich konzentrieren und spezialisieren zu können. Dieses wertvolle Wissen könnten sie in die immer dünner besetzten Redaktionen tragen.  Von manchen festangestellten Kollegen und Kolleginnen wünscht sich Schild mehr Respekt – und auch mehr Transparenz. „Es muss genauso selbstverständlich über Geld wie über die Textlänge geredet werden.“  Für das Arbeitsfeld der freien Fotografie bestätigt das mit Nachdruck die Hamburgerin Lucja Romanowska (36): „Viele Jobs sind einfach unterbezahlt. Sogar ausnehmend gute Fotografen nehmen häufig Aufträge an, die ihnen Bauchschmerzen bereiten, um überleben zu können“, berichtet die Fotografin. „Es fragt keiner, wie viel meine Ausrüstung wert ist und wie oft neues Equipment erworben beziehungsweise ersetzt werden muss. Die Leute wollen Fotos, die ihren Preisvorstellungen entsprechen.“ Ähnlich wie bei der Recherche und Aufbereitung von Texten sehen die Auftraggeber nur die Tätigkeit und nicht das, was noch damit zusammenhängt: die Bildbearbeitung, die Kommunikation, die Zusatzkosten. „Durch die Möglichkeit, sich jederzeit Agenturfotos, sprich Symbolbilder, zu verschaffen, gibt es immer weniger hochwertige Storys. Das ist schade“, sagt Lucja Romanowska. Weil sie vernetzt ist, blickt die Fotografin zuversichtlich in die Zukunft. „Ich habe naturgemäß oft daran gezweifelt, ob ich es kann, das Fotografieren. Das lag vor allem daran, dass ich mir alle technischen Fertigkeiten selbständig aneignen musste und anfänglich kaum Kontakt zu anderen Fotografen hatte“, erzählt Romanowska. „Mittlerweile kenne ich viele großartige Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich mich regelmäßig austausche. Und ich kann sagen, es tut gut, nicht allein zu sein.“ Der Ventil Verlag hat Lucja Romanowskas Buch über Straßenpunks herausgebracht, und eines ihrer Bilder hing in der Getty Gallery in London. „Am meisten gefreut hat mich allerdings ein Multimediaprojekt, das ich vor ein paar Jahren gemeinsam mit Peter Brownbill, einem kleinwüchsigen Künstler und Schauspieler, realisieren durfte.“ Tanja Krämer sieht auch an den Beiträgen der Riffreporter-Genossenschaft die besondere Qualität von Freien-Arbeit: „Freie sind gut vernetzt. Sie wohnen nicht nur in den großen Medienzentren, sondern auch in Dörfern oder Kleinstädten, sind mehr draußen als Redaktionsangestellte und daher auch mehr im Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern und verschiedensten Gruppierungen“, sagt Krämer. „Sie haben also die Nase im Wind. Das ist ein Pfund, das sie nutzen können.“ Florian Vollmers  Mitarbeit: Christiane Eickmann,
Sabine Spatzek, Claudia Piuntek
 

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