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Meldung Nordspitze

Stefan Endter über Erkenntnisse und Folgen der NDR-Krise

„Die emotionale Betroffenheit war mit Händen zu greifen“

17.07.2023

Als die Vorfälle an den NDR-Standorten in Kiel und Hamburg und die Vorwürfe gegen die dortigen Führungskräfte im vergangenen Jahr bekannt wurden, war Stefan Endter ganz nah dran. Der Rechtsanwalt und Geschäftsführer des DJV Nord sprach mit vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Zwar wurde weder unzulässig ins Programm eingegriffen, noch gab es einen politischen Filter – aber bei den Beschäftigten war von einem „Klima der Angst“ die Rede.

Stefan Endter im Interview. (Foto: F. Büh)

NDR-Intendant Joachim Knuth holte ein unabhängiges Team um den evangelischen Theologen und Manager Stephan Reimers ins Boot, um das Klima in den Abteilungen und Redaktionen zu untersuchen. Entstanden ist ein rund 100-seitiger Bericht. Im Interview mit der NORDSPITZE spricht Stefan Endter über die Krise beim NDR, die Ergebnisse
des Klimaberichts und darüber, wie es nun weitergeht.

Worum geht es im NDR-Klimabericht?

Der NDR war im Sommer des vergangenen Jahres mit seinen Landesfunkhäusern in Hamburg und Kiel öffentlich in die Kritik geraten. Im Zuge der sich anschließenden in- und externen Diskussion und der sich daraus ergebenden Aufarbeitung äußerten sich viele Mitarbeitende kritisch – auch über die Führung des NDR. Stephan Reimers und sein Team haben über mehrere Monate mit mehr als 1000 Mitarbeitenden und NDR-Gremienmitgliedern gesprochen. Der Bericht führt 620 Einzel- und Gruppengespräche an, die vertraulich geführt wurden.

Was sind die Ergebnisse?

Die Ergebnisse des Berichts sind in zwölf Punkten zusammengefasst. Unter anderem benennt der Bericht starre Strukturen und bürokratische Abläufe. Einerseits wird darauf verwiesen, wie sehr sich die Mitarbeitenden mit dem Sender identifizieren. Andererseits ist die Rede von einer Überforderung der Führungskräfte durch die „Wucht der Veränderung“. Es gäbe, so der Befund, kein generelles Klima der Angst, aber auch die Erkenntnis, dass die Beschäftigten kein Vertrauen in ihre Geschäftsleitung haben. Der NDR tue sich schwer damit, angemessen nach innen zu kommunizieren und „eine lebendige Kommunikations- und Feedbackkultur zu etablieren“. Die unterschiedlichen Bedingungen für feste und freie NDR- Mitarbeitende werden als „Zwei-Klassengesellschaft“ bewertet. Den Mitarbeitenden stellt der Bericht ein gutes Zeugnis aus: „Die Mitarbeiter*innen stehen mit Überzeugung und Leidenschaft hinter dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und ,ihrem‘ NDR. Sie haben einen hohen Anspruch an Professionalität und gute Arbeit. Sie wollen, dass der NDR erfolgreich ist und eine Zukunft hat.“ Der Bericht konstatiert auch, dass sich der NDR in einem digitalen Transformationsprozess befinde. Dazu heißt es: „Die Mitarbeitenden zweifeln nicht an der Notwendigkeit von Veränderungen, sind aber unzufrieden darüber, wie sie umgesetzt werden.“

Sie haben die Krise beim NDR von Anfang an miterlebt. Wie war die Gefühlslage in dieser Zeit bei Ihnen und den NDR-Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, mit denen Sie gesprochen haben?

Meine Kolleginnen Bettina Neitzel, Dr. Anja Westheuser und ich haben, auch in der Rechtsberatung, viele Gespräche geführt. Unser Eindruck deckt sich mit den Ergebnissen des Reimers-Berichtes. Die emotionale Betroffenheit war mit Händen zu greifen. Da hatte sich viel aufgestaut. Reimers schreibt im Vorwort seines Klimaberichtes: „Nach der Vorstellung des Teams im Oktober 2022 zweifelten viele Mitarbeiter*innen an unserer Unabhängigkeit und äußerten Sorgen, ob die Gespräche wirklich vertraulich bleiben würden.“ Diese Verunsicherung und dieses Misstrauen haben wir auch registriert.

Die Ergebnisse des Berichts lassen die Füh- rungsetage des NDR nicht gut aussehen. Warum wurde da nicht früher gehandelt? 

Die Frage stellt sich in der Tat und die Geschäftsleitung sollte sie beantworten. Die NDR-Programmdirektorin Katja Marx hat in einer gemeinsamen Podiumsdiskussion des DJV und des Kulturforums im vergangenen Oktober klar benannt, dass der NDR ein Problem mit der Unternehmenskultur hat.

In der freien Wirtschaft oder der Politik wären nach so einem Bericht wahrscheinlich Köpfe gerollt. Der NDR hat bislang keine personellen Konsequenzen gezogen. Die richtige Entscheidung?

Ich glaube, es kommt darauf an, dass Konsequenzen gezogen, die Defizite abgestellt und tatsächlich an einer neuen Kultur gearbeitet wird. Dafür tragen die bisher Verantwortlichen nun eine besondere Verantwortung.

Der Bericht macht klare Vorschläge dazu, wie sich das Führungsverhalten im NDR ändern muss. Nun soll die alte Führungsriege auch für das „Betriebsklima-Update“ sorgen. Kann das überhaupt funktionieren?

Ich hoffe, dass es funktioniert. Die Fehlentwicklungen sind jetzt klar identifiziert. Vieles war aber schon seit langem wahrnehmbar. Die Verantwortlichen haben die Möglichkeit, den Sender zum Positiven zu verändern.

Der NDR will sich für den positiven Wandel bis mindestens 2025 Zeit nehmen. Warum dauert das so lange?
 

Es darf keine Zeit vertan werden. Mit der Veröffentlichung des Reimers-Berichtes ist die Sache nicht erledigt. Eine zentrale Phase des Handelns muss jetzt beginnen. Ein wirklicher und nachhaltiger Kulturwandel braucht aber bei einer Organisation dieser Größe auch Zeit.

Der NDR-Intendant hat sich aus dem Bericht herausgehalten, die Ergebnisse wurden veröffentlicht. Sollten sich andere Medienanstalten an dieser Offenheit ein Beispiel nehmen?


Ich glaube eher, dass es eine Selbstverständ- lichkeit ist, sich aus einem solchen Bericht herauszuhalten, ihn also nicht zu beeinflussen. Alles andere wäre kontraproduktiv und nicht professionell gewesen.

Aus dem Bericht lassen sich mit Sicherheit einige wichtige Dinge herausziehen, die auch für die Gewerkschaftsarbeit des DJV von Interesse sein könnten. Was nehmen Sie mit?

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat für unsere Gesellschaft eine zentrale Funktion. Eine Kommunikationsdemokratie ist gerade in Zeiten von Populismus, Fake News und Hate Speech auf die informatorische Grundversorgung mit Qualitätsjournalismus angewiesen. Also haben wir als Journalisten-Verband ein großes Interesse an einem NDR, der für die Journalistinnen und Journalisten gute Arbeitsbedingungen sicherstellt, damit unsere Kolleginnen und Kollegen ihren wichtigen gesellschaftlichen Auftrag erfüllen können. Und dazu gehört ganz klar eine Verbesserung der Unternehmenskultur. „Um das bestmögliche Programm zu machen, brauchen wir ein gutes Klima und eine Kultur des gegenseitigen Respekts“ – da hat die Hausleitung recht. Dazu zählt auch – um noch einmal Stephan Reimers zu zitieren – „eine lebendige Kommunikations- und Feedbackkultur zu etablieren.“ Den für den NDR arbeitenden freien Journalistinnen und Journalisten muss zudem eine gute und verlässliche Perspektive gegeben werden – wir halten als DJV nichts von Zwei-Klassen-Gesellschaften. Und von unserem Tarifpartner NDR wünschen wir uns einen verlässlichen und berechenbaren Umgang und eine entsprechende Tarifpolitik.

Die Fragen stellte Kilian Genius.

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