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Meldung Nordspitze

Künstliche Intelligenz (KI) in norddeutschen Redaktionen

Was kann „Kollegin KI“?

17.07.2023

ChatGPT, Deepl Write, FaceForensics, Fusionbase, Google Pinpoint – KI-Programme zum Generieren von Texten und Bildern sowie selbständig arbeitende Layoutprogramme erleben eine rasante Ent- wicklung. Weiterbildungsdozenten kommen mit dem Erstellen ihrer Präsentationsseiten kaum hin- terher. Die NORDSPITZE hat bei norddeutschen Chefredaktionen und Betriebsräten nachgefragt, in welcher Art und Weise solche Systeme im Einsatz sind und ob es eine Kennzeichnung braucht.

Bei der Nordwest-Zeitung (NWZ) aus Oldenburg in Niedersachsen soll in der zweiten Jahreshälfte die SoftwareSophi.io zum Einsatz kommen, um selbständig Zeitungsseiten zu layouten. „Texte und Bilder generiert das Programm aber nicht. Wegen urheberrecht-
licher Bedenken gegenüber den aus Versatzstücken zusammengesetzten Werken werden solche Pläne zurzeit auch nicht verfolgt“, betont der Betriebsratsvorsitzende Jan Lehmann. Die Software bietet in seinen Augen die Chance, die Kolleginnen und Kollegen im Kanalmanagement beim Layouten zu entlasten, „sie gewinnen wertvolle Zeit zum Beispiel für Recherchen und Qualitätskontrolle“. Als Betriebsrat weiß er aber auch, dass der Arbeitgeber bei der Einführung neuer Technik mittelfristig Personal einsparen will. Das müsse aber sozialverträglich geschehen, zum Beispiel durch Versetzungen in Kombination mit Fluktuation oder Altersteilzeit. Die dazugehörige Betriebsvereinbarung wolle der Betriebsrat demnächst abschließen. KI werde den Journalismus weder retten noch gefährden, meint der NWZ-Betriebsrat. Eins aber ist Lehmann wichtig: „KI muss immer von Menschen kontrolliert werden
– so gesehen ist eine Kennzeichnung von KI-generierten Texten und Bildern zwingend erforderlich, reicht aber nicht aus.“

Auch die Redaktion der Celleschen Zeitung geht mit der Zeit. „Den Einsatz einer KI wird es bei uns im Bereich Plattform-Publishing
geben“, sagt die stellvertretende Chefredakteurin Katharina Baumgartner. Hier übernimmt die KI die plattformspezifische Content-Auswahl, legt den Veröffentlichungszeitpunkt fest und erstellt kurze Teasertexte. Allerdings sei dieser Prozess nicht vollautomatisiert, sondern wird von Redakteur*innen gesteuert und überwacht. In der Redaktion selbst wer- den keine KI-basierten Systeme zur Generierung von Texten oder der Layoutgestaltung genutzt. Dennoch wurde eine KI-Taskforce eingerichtet, die sich intensiv mit dem Thema und möglichen Einsatzgebieten beschäftigt. Denn trotz aller Risiken sei es besonders für Medien wichtig, den Blick auf die Chancen zu richten, etwa zur Automatisierung von Routinetätigkeiten. „Dadurch kann es uns gelingen, Journalist*innen wieder mehr Freiräume zu geben und die Produktivität zu erhöhen – um beispielsweise tiefer zu recherchieren oder kreativer zu arbeiten und letztendlich hochwertigen Journalismus zu ermöglichen“, meint Baumgartner.

Zurückhaltend reagiert Markus Riese, Redaktionsleiter der Alfelder Zeitung, auf die Frage nach dem Einsatz von KI in der
Redaktion. ChatGPT möge hilfreich sein, um gewisse Automationsprozesse zu unterstützen, aber für das Generieren journalistischer Texte erscheint es Riese derzeit noch ungeeignet. „Wenn echte Menschen echte Artikel recherchieren und schreiben, halten wir das für sinnvoll, und das entspricht dem Qualitätsanspruch, den unsere Leser*innen zu Recht erwarten. Das kann eine Software nicht erfüllen – und das ist auch gut so.“ Doch in anderen Bereichen wird bei der Alfelder Zeitung durchaus mit KI experimentiert. Beispielsweise mit Text-to-Speech-Tools, die helfen, Podcast-ähnliche Formate ohne größeren Aufwand an den Start zu bringen oder einfach lokale Nachrichten hörbar zu machen. Automatisierungsprozesse und technische Weiterentwicklungen habe es in der Branche immer wieder gegeben – es galt sich anzupassen. „Revolutionieren wird KI den Journalismus sicher nicht, eher unterstützen. Und retten wird KI den Journalismus auch nicht, das müssen die Menschen selbst erledigen“, sagt der Redaktionsleiter. In jedem Fall sollte gegenüber Leser*innen transparent kommuniziert werden, wenn KI-generierte Texte zum Einsatz kommen. Verbindliche Regeln dazu gebe es noch nicht, aber beispielsweise die dpa-Guidelines seien ein guter Weg.

Intensiv beobachtet und diskutiert die Belegschaft von Radio Bremen die Entwicklung und Nutzung von Chatbots und KI-Lösungen. In den Archiven und im Technik-Bereich arbeitet der Bremer Sender – wie alle ARD-Anstalten – bereits mit Audio Mining- und Data Mining-Anwendungen, die KI-gestützt sind. Im ARD-Verbund kommt KI unter anderem bei Empfehlungssystemen und im Community-Management zum Einsatz. Auch habe es schon Experimente zur Unterstützung des Verkehrsfunks durch KI gegeben. In der redaktionellen Arbeit fände KI zurzeit keine Verwendung, erklärt Intendantin Yvette Gerner – doch zukünftig werde „die Kollegin KI in den Redaktionsräumen mit am Schreibtisch sitzen.“ Die „Kollegin KI“ eröffne neue Wege der Recherche und könne von standardisierten Aufgaben entlasten, etwa bei der Analyse großer Datenmengen, so dass mehr Ressourcen in die journalistische Kernarbeit gesteckt werden können. Eine Herausforderung sieht Gerner in Deepfakes und Desinformation durch KI. „In der digitalen Welt ist neben der Gatekeeper- die Fact-Checking- Funktion von Journalist*innen noch wichtiger geworden. KI-gestützte Programme verändern jetzt schon die Anforderungen an die journalistische Arbeit, die Redaktionen müssen sich deshalb gezielt weiterbilden.“ Über alle relevanten Themen sei die Sendeanstalt mit dem Personalrat im Austausch – das gelte auch für KI-Anwendungen.

Das Thema Kennzeichnung sieht die Radio Bremen-Intendantin als gesellschafts- und medienpolitische Frage. Letztlich aber setze Kennzeichnung zu spät ein: „Als Gesellschaft müssen wir grundsätzlich diskutieren, aus welchen Datenquellen sich KI-Anwendungen speisen und wie wir sicherstellen können, dass genügend sichere Quellen verwendet werden“, meint Gerner, deren Haus seine Medienkompetenz-Angebote für alle Altersklassen deutlich ausgebaut hat.

Auch die Kieler Nachrichten nutzen derzeit keine KI in der Redaktion. Online-Redakteurin und Betriebsrätin Kerstin Tietgen erkennt den Vorteil, dass KI zukünftig wieder mehr Freiräume für die Kernaufgaben im Redaktionsalltag ermöglicht. Wenn Reporter*innen Termin- oder Kurzmeldungen über eine KI schreiben ließen, bliebe ihnen mehr Zeit für eigene Recherchen. Wenn Layouter*innen klassische Seiten über eine KI befüllen lassen könnten, hätten sie mehr Zeit für Seiten, die eine besondere Gestaltung erfordern. „Redaktionen, die überall spürbar knapp aufgestellt sind, könnten dadurch wieder sinnstiftender arbeiten“, hofft die Redakteurin.
Am Ende honoriere das auch die Leserschaft. Denn letztlich seien es die umfangreichen Recherchen, die in erster Linie zum Kauf des ePapers oder der Zeitung animieren. Gleichzeitig habe die Redaktion allerdings die Erfahrung gemacht, dass die Stamm-Leser*innen sehr wohl Wert auf Kurzmeldungen legen.

Wenn KI dafür genutzt würde, Redaktionen weiter auszuhöhlen und Arbeitsplätze einzusparen, hält die KN-Redakteurin das für höchst
problematisch. Viele Redaktionen seien bereits jetzt an der Grenze der Handlungsfähigkeit. „Weitere Stellenstreichungen müssen dringend verhindert werden. KI kann nur entlasten und nicht ersetzen, denn jeder von einer KI erstellte Content muss durch einen Menschen überprüft werden“, bekräftigt Tietgen. Zur Kennzeichnung hat sie auch eine klare Haltung: „Wer Agenturen nutzt, muss sie angeben. Quellen sollen in der Regel benannt werden. Deshalb sollten auch Texte und Bilder, wenn sie über eine KI erstellt wurden, entsprechend gekennzeichnet werden.“

Bei der Taz Nord spielt das Thema KI/Chatbots eine sehr kleine Rolle im Redaktionsalltag: KI wird in der Redaktion Nord bisher nicht genutzt. Die überregionale Wochentaz experimentiert dagegen seit geraumer Zeit mit einer KI-geschriebenen Kolumne. Jan Kahlcke, Redaktionsleiter Taz Nord, stellt freudig fest, dass die Picture Alliance ein neues, KI-gestütztes Feature anbietet, mit dem man zu einem hochgeladenen Bild ähnliche Bilder suchen kann. Das stelle er sich hilfreich vor, um nicht auf die immer gleichen Symboloptiken zurückzugreifen, habe es aber noch nicht genutzt. Froh wäre er über ein KI-basiertes, mit den Taz-Standards kompatibles Layoutprogramm: „Da wir im Regionalen unser Layouts selbst machen, käme jede Arbeitsersparnis durch KI-Unterstützung direkt der Recherchezeit zugute.“ Dabei scheinen ihm am ehesten Chatbots für Basisrecherchen geeignet, um sich einen ersten groben Überblick über ein Thema zu verschaffen und damit den Rechercheweg abzukürzen – im Idealfall zu Gunsten von mehr Tiefe. Danach müsse allerdings die gute alte menschliche Recherche einsetzen, da Chatbots häufig vermeintliche Fakten erfinden. Textformate wie einfache Meldungen, die prinzipiell auch von KI erstellt werden könnten, habe die Taz vor längerer Zeit weitgehend abgeschafft. Hintergründige Texte mit dem taz-spezifischen Zugriff seien durch KI nicht ohne weiteres erstellbar, mutmaßt Kahlcke. Auch aus seiner Sicht wird KI den Journalismus weder revolutionieren, noch retten noch gefährden. Wiewohl sie bestimmte Tätigkeiten perspektivisch ersetzen könnten. „Verantwortungsvolle Verlage sollten etwaige dadurch frei werdende Ressourcen in mehr und tiefere eigene Recherchen investieren. Dadurch können sie – auch in Abgrenzung zu Amateur-Publishern in Social Media – wieder relevanter werden und ihre Relevanzposition verteidigen“, untermauert der Redaktionsleiter. Eine Kennzeichnung von KI-generiertem Material hält er für unabdingbar.

Die Fragen stellte das Team der NORDSPITZE, die Zusammenstellung der Antworten verfasste Marina Friedt.

Hier finden Sie das DJV-Positionspapier zu KI.

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