Pressemitteilungen
Vielfalt als Chance
Die Medienbranche diskutiert zunehmend über die Zusammensetzung ihrer Redaktionen. Warum werden bestimmte Gesellschaftsgruppen von Zeitungen, Onlinemagazinen und Sendern gar nicht mehr erreicht? Wer entscheidet über Themensetzung und Gewichtung? Und warum wird diese häufig als so einseitig wahrgenommen? Hinzu kommt der Nachwuchsmangel: Vermehrt bemühen sich Personalabteilungen von Medienhäusern und Rundfunkanstalten mittlerweile um Bewerber*innen mit Migrationshintergrund, aus dem ländlichen Raum oder mit einer Biografie mit Brüchen. Wir haben mit Kollegen und Kolleginnen aus Norddeutschland darüber gesprochen, wie Diversität im Journalismus gelebt werden kann und warum sie wichtig ist.
Auf die Perspektive kommt es an. Jenny Bernard erinnert sich an ein Beispiel aus ihrer Volontärszeit bei der Offenbach Post: „Dort wurde einmal in der Redaktion eine Kommune gefeiert, die die Kleinkindbetreuung von 8 bis 12 Uhr eingeführt hat. Das war für mich als Ossi-Frau gar nicht erwähnenswert.“ Die 40-Jährige, seit kurzem als Content-Managerin beim Telekommunikationsanbieter LogiTel in Neumünster tätig, stammt aus einem Dorf mit nicht einmal 1000 Einwohnern in Mecklenburg-Vorpommern und hat bis 2018 acht Jahre lang als Lokalredakteurin und Editorin bei der Schwäbischen Zeitung gearbeitet. „Mir fällt auf, dass Journalisten fast alle aus dem gleichen Umfeld kommen. Sie stammen meist aus gutbürgerlichem Hause und haben studiert.“ Redaktionsleiter stellten häufig Leute ein, die ihnen vom Typ her ähnlich sind.
Foto: Studio Renard
Six-Sasmaz aber hat kein Problem damit, immer wieder für die gleichen Themen angefragt zu werden. Im Gegenteil: Ihr Themenschwerpunkt ist ihr wichtig. Schließlich könne sie so einen Beitrag zum verständnisvollen Miteinander zwischen Türkeistämmigen, Muslimen, Migranten und der Mehrheitsgesellschaft leisten. Sie sieht eine positive Entwicklung: „Zu Beginn meiner journalistischen Laufbahn war noch viel Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit notwendig, um vorherrschende Klischees zu durchbrechen.“
Doch mancherorts halten sich Klischees hartnäckig, wie Özgür Uludağ beobachtet hat: „Gerade bei den Themen Migration und Islam gilt in Redaktionen häufig ‚only bad news are good news‘ – ich würde mir da eine differenziertere Betrachtungsweise wünschen.“ Statt konstruktiv und lösungsorientiert würden Themen oft konfliktbehaftet und problemorientiert bearbeitet. Allgemein geht er von einer größeren Offenheit gegenüber Journalist*innen mit Migrationsgeschichte in Großstädten aus. Er vermutet: „Mein Eindruck ist, dass Journalisten und Journalistinnen mit diversifizierten Kultureinflüssen dann eingestellt werden, wenn ihre speziellen Kenntnisse und Zugänge gefragt sind. Dies ist in der Regel in Großstädten eher der Fall als in den Nicht-Metropolen.“
Wer sich in Personalabteilungen umhört, stellt schnell fest, dass dort mittlerweile nach Medienschaffenden mit unterschiedlichen Biografien gesucht wird. „Wir hätten gern mehr Bewerber*innen mit Migrationshintergrund“, sagt zum Beispiel Kathrin Petersen, die die Konzernpersonalentwicklung der Madsack Mediengruppe (u.a. Lübecker Nachrichten) leitet. Es sei aber nicht so einfach, diese Zielgruppe zu erreichen. Und auch ein anderer Aspekt von Vielfalt sei ihr wichtig: Bewerber*innen für ein Volontariat müssten mittlerweile nicht mehr zwingend ein abgeschlossenes Studium vorweisen. So wolle Madsack eine größere Vielfalt bei Bildungshintergrund und Lebenserfahrung erreichen. „Auch altersmäßig haben wir eine Spanne von 22 bis 40 Jahren bei unseren Volontären“, betont Petersen.
Für Maier ist der Weg zu mehr Vielfalt in den Medien noch lange nicht zu Ende: „Wir erleben einen kulturellen Wandel und sind vielfältiger geworden. Und wir sehen nur die Spitze des Eisbergs.“ Das Geschlecht oder eine andere Hautfarbe beispielsweise seien sichtbar, die sexuelle Identität oder Religion dagegen blieben unter der Oberfläche. Darum sei es wichtig, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem jeder so sein kann, wie er ist. „Für Vielfältigkeit gibt es drei Gründe: die Unternehmenskultur, den wirtschaftlichen Erfolg und rechtliche Zwänge. Wenn man bedenkt, dass immer noch ein knappes Drittel der Schwulen und Lesben am Arbeitsplatz nicht über die sexuelle Identität spricht, sehen wir, dass Unternehmen Farbe bekennen müssen, um Ängste abzubauen“, sagt Maier. Doch ist die sexuelle Identität nicht Privatsache? „Die persönliche Sexualität geht niemanden etwas an, aber wenn ein Schwuler am Arbeitsplatz zum Beispiel gefragt wird, was er am Wochenende gemacht hat, sollte klar sein, dass er nicht mit einer Frau, sondern eben mit einem Mann unterwegs war“, sagt Maier. Ein Versteckspiel um die sexuelle Identität habe negative Auswirkungen auf die Arbeitsleistung. Er selbst sei nie bewusst und offen diskriminiert worden. „Aber wie verhält man sich als Schwuler, wenn man hört, dass im Flur ein Schwulenwitz erzählt wird?“ Früher habe er dazu geschwiegen, heute würde er vermutlich etwas sagen.
Die Debatte um Vielfalt in den Redaktionen wird in einer Zeit geführt, in der es in der Medienbranche wirtschaftlich kriselt. Das weiß auch Jens Maier. „Manchmal höre ich das Argument: ‚Wir können uns nicht um das Thema Vielfalt kümmern, weil wir so viele andere Probleme haben.‘ Ohne Diversity und Wertschätzung für alle geht es aber nicht.“
Libuse Cerna gibt zu bedenken, dass allein kosmetische Korrekturen beim Thema Vielfalt nicht weiterhelfen: „Es geht nicht darum, dies in einer Art Sozialzoo zur Schau zu stellen, sondern Fertigkeiten zu nutzen.“ Journalistische Aufgaben seien präzise Beobachtung, fundierte Recherche, genaue Beschreibung. „Und deswegen sind breitgefächerte Kompetenzen in divers aufgestellten Teams eine notwendige Voraussetzung, um die globale Komplexität unserer Wirklichkeit adäquat abzubilden.“
Christiane Eickmann/Claudia Piuntek
Jetzt anmelden für DJV-Kongress
„Vielfältig statt einfältig! Für mehr Diversität im Journalismus“ heißt der Kongress, zu dem der DJV Niedersachsen in Kooperation mit der Stiftung Leben & Umwelt / Heinrich-Böll-Stiftung Niedersachsen am Samstag, 30. November 2019, ab 10.30 Uhr in Hannover einlädt. Auch der DJV Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein unterstützt die Veranstaltung im Pavillon Hannover, Lister Meile 4.
Warum Menschen mit untypischen Biografien eine Bereicherung für jede Redaktion sind, darüber spricht die Journalistin Anna Adrizanjan (t-online.de) in ihrer Keynote „Ein Herz für Underdogs“. Dass über Menschen mit Behinderung berichtet werden kann, ohne Klischees zu bedienen, wird Judyta Smykowski in einem Workshop zeigen. Die freie ZDF-Journalistin Trang Dang stellt Strategien von Journalist*innen mit Migrationshintergrund vor, die ihren Weg in die Redaktionen gefunden haben, und Cornelie Kunkat vom Deutschen Kulturrat benennt die Vorteile von Mentoring-Programmen. Die BuzzFeed-Redakteurinnen Pascale Müller und Juliane Löffler geben Tipps, wie Themen platziert werden können, die in Redaktionskonferenzen häufig unter den Tisch fallen – wie zum Beispiel sexualisierter Machtmissbrauch. Auf dem abschließenden Podium diskutieren unter anderem Thomas Mitterhuber (Deutsche Gehörlosenzeitung), der freie Journalist Vassili Golod und die stellvertretende Newsroomleiterin des RedaktionsNetzwerks Deutschland, Dany Schrader.
Tickets kosten für DJV-Mitglieder 10 Euro und können auf der Veranstaltungshomepage djvielfalt.de erworben werden. Eine rasche Bestellung wird empfohlen, die Plätze sind begrenzt.
Hier gibt es weiterführende Informationen
• Gemeinsam mit dem Verein Sozialhelden hat die Kommission „Chancengleichheit und Diversity“ des DJV die Broschüre „Journalist*innen mit Behinderung – bitte mehr davon!“ erarbeitet, die Tipps für den Einstieg in den Journalismus bietet. Unter bit.ly/2kVHkWy findet sich der Link zum Download.
• Mehrere Informationsquellen für diskriminierungsfreie Sprache, u.a. auch zum Gendern, finden sich hier: bit.ly/sprachtipps
• Ein Ratgeber zu gendergerechter Sprache ist im Duden-Verlag erschienen: Anja Steinhauer, Gabriele Diewald: Richtig gendern. Wie Sie angemessen und verständlich schreiben, Berlin 2017
• Wer auf Vielfalt in der Berichterstattung achten möchte, findet Gesprächspartner*innen zu unterschiedlichen Themen unter www.vielfaltfinder.de
• Das Glossar der Neuen Deutschen Medienmacher ist unter bit.ly/2kVRCGd abrufbar.